von Maximilian, der sein Auslandstrimester an der Sciences Po in Paris verbringt
"If you are lucky enough to have lived in Paris as a young man, then wherever you go for the rest of your life, it stays with you, for Paris is a moveable feast." - Ernest Hemingway
Ich frage mich, ob sich das, was ich für mein Auslandssemester in Paris empfinde, in der Nacht des 13. November verändert hat. Hat sich die Stadt geändert? Bin ich nun an einem anderen Ort, als ich es vorher war? Wenn ich vorher in Paris war, bin ich jetzt auch in Beirut? Bin ich in Europa? Bete ich gerade als Deutscher, als Europäer für Frankreich, oder bin ich auch Weltbürger und leide gleichsam mit dem Schmerz im Libanon? Leide ich nicht auch für alle die, denen nun der Hass der Populisten entgegenschlägt, die zum Sündenbock gemacht werden für ein Unheil, vor dem sie doch gerade bei uns Zuflucht suchen? Wenn Paris bedeutet, das Leben zu feiern, wie ich es bis zuletzt verstand, feiern wir nun ein trotzendes Leben, dem Schrecken entgegen? Wessen Leben wird denn überhaupt gefeiert? Ist es das Leben der Überlebenden? Ist es das Leben derjenigen, die ihres lassen mussten? Oder ein Lebensideal, das Leben des Westens, das Leben eines Siegers? Oder die Freiheit zu feiern, als ein sich selbst dienendes Leben?
Während sich der Anblick der Straßen in kurzer Zeit äußerlich wenig verändert hat – es wird flaniert, gegessen, getrunken, gekauft, gefeiert – so hat sich doch die Art und Weise gewandelt, in der ich darauf blicke. Es ist uns allen ja nicht unbekannt, dass wir für zwei gleich aussehende Dinge unterschiedliche Wertungen fällen können. Hat sich also etwas im Innern des Lebens, dessen Feierns, verändert? Wurden wir ins Herz getroffen? Kann der Fanatismus Einzelner ein Kriegsakt sein? In wessen Namen?
Paris ist ein Ort, der gleichsam überall auf dem Globus eine Metapher für Lebensfreude darstellt – insbesondere deshalb, weil er sich Hand in Hand mit seiner eigenen Internationalität bewährt hat. Das macht Paris aber auch zum tragischen Ziel des Terrors: Dort, wo sich Kulturen auf Augenhöhe begegnen, ihre Liberalität jeden zum Teil der Stadt selbst werden lassen kann, dort schmerzt es den Fanatiker am meisten, dort ist er am entferntesten davon, die Trennung, den Neid, den Hass zu schüren. Den Krieg zu wecken.
Wen es also befremdet, dass so kurz nach den Attentaten nun schon wieder flaniert, gegessen, getrunken, gekauft, gefeiert wird, der übersieht vielleicht: Wir müssen weiterfeiern. Nur wenn Paris, nur wenn wir alle, für die das Fest des Lebens steht, wenn jeder, der alle uneingeschränkt zur Party des Lebens einlädt, ohne auf Herkunft und Religion zu vertrauen, wenn der, für den die Werte einer Gesellschaft allen dienen sollen, wenn wir auch weiterhin kein Vorurteil walten lassen und offenen Herzens bleiben, nur dann beweisen wir, dass das Fest größer ist als der Hass. Dann verliert der Schrecken seine Klauen, denn er wird uns nicht entzweien, sondern alle die, die sich in Frieden und Freiheit einen, woher auch immer sie kommen, noch stärker zusammenführen.
Ich verstehe nun, ich bin wo ich immer war, wir sind wo wir immer waren. Im Netz eines Lebens, das schon lange aufgehört hat sich zu begrenzen auf unseren Wohnort, unser Heimatland. Deswegen sind wir alle Paris, deswegen sind wir auch alle Beirut. Wir betrauern den Verlust, die Opfer der Anschläge, wir trauern mit ihren Familien, ihren Angehörigen.
Aber ihr Leben, das sollten wir feiern.