von Fabian, der sein Auslandstrimester in Oxford verbrachte
Die gewaltigen Tore der Zermonienhalle öffnen sich knarrend. Ein alter Mann in goldsamtenen Umhang schreitet hindurch. Das Gemurmel der versammelten Menge verebbt augenblicklich. Es ist absolut still; nur der Widerhall seiner Schritte ist zu hören, als er sich bestimmt auf seinen goldenen Thron zubewegt. Dort angelangt, dreht er sich um und schaut bedächtig auf die versammelte Menge.
Ein kleiner Mann tritt hervor, verneigt sich kurz und spricht: 'Insignissime Vice-Cancellarie, praesentamus tibi hos nostros scholares ut referantur in Matriculam Universitatis.'
Der Throninhaber nickt langsam und erwidert: 'Scitote vos in Matriculam Universitatis hodie relatos esse, et ad observandum omnia Statuta istius Universitatis, quantum ad vos spectent, teneri.'
Das Ende der Immatrikulation, der Anfang einer fantastischen Erfahrung. Oxford ist ein beinahe magischer Ort. Hinter gewaltigen Mauern und wappenverzierten Holztoren verbergen sich die Colleges mit ihren uralten Bibliotheken, wunderschönen Innenhöfen und träumerischen Türmen. Sie sind umgeben von nebelverhangenen Wiesen und vor sich hin plätschernden Bächen. Der Dichter W. B. Yeats hat einmal gesagt: "I wonder if anybody does anything at Oxford but dream and remember, the place is so beautiful. One almost expects the people to sing instead of speaking. It is all like an opera."
Inmitten dieser mittelalterlichen Idylle verstecken sich lauter kleinerer und größerer Verrücktheiten; Jahrhunderte alte Traditionen, die heute ein wenig fremd und komisch wirken. Das Verrückteste ist aber wohl, wie schnell diese Dinge alltäglich und normal werden. Nach ein paar Wochen wundert man sich überhaupt nicht mehr darüber, warum man eigentlich gerade einen Umhang beim Abendessen trägt. Der 500 Jahre alte Speisesaal mit den langen Holztischen und goldumrahmten Porträts an der Wand wird zur ganz normalen Mensa. Und man schmunzelt nur noch, wenn man sich mal verläuft und kurz darauf vor dem Tor zu Narnia oder in der verbotenen Abteilung der Bibliothek von Hogwarts wiederfindet.
Was mich allerdings nie ganz loslässt, ist der Geist der Vergangenheit, der wie ein dicker Nebel auf der kleinen Stadt liegt. Egal ob John Locke, Adam Smith oder Bill Clinton, sie alle waren hier. Sie alle schlenderten durch dieselben Straßen, lernten in denselben Bibliotheken und fanden sich abends in denselben Pubs wieder. Sie alle wurden von der träumerischen Stadt inspiriert. Man kann beinahe spüren, wie die innere Ruhe und unvergängliche Schönheit des Magdalen College Oscar Wilde seinen Dorian Gray gab. Die ganze Stadt strahlt ein Streben nach einer höheren Wahrheit aus. Wie kann man da selbst widerstehen?
Und das Beste: Man ist ständig von Menschen umgeben, die die eigene Wissbegierde teilen. Im College mischen sich die unterschiedlichsten Fachrichtungen und Nationalitäten; alle unglaublich nett und bescheiden, und alle mit interessanten Lebensgeschichten. Man kommt sehr leicht in Kontakt und hat auch immer schnell ein Gesprächsthema gefunden. Da kommt es schon mal vor, dass man beim Frühstück mit Thailändern über die Gefahren von Big Data diskutiert, beim Mittagessen von einer Inderin die Geschichte des elefantenköpfigen Hindu-Gottes Ganesh erzählt bekommt, beim Nachmittagscafé mit Franzosen über das mögliche Ende der Welt philosophiert und sich abends im Pub fragt, was Kant wohl über den moralischen Wert von Weihnachtsgeschenken gesagt hätte. Es gibt immer neue Ideen und jeder hat etwas zu sagen.
Und falls man mal keine Lust mehr hat, zu denken - kommt auch mal vor - lässt Oxford einen auch nicht im Stich. Es gibt über 200 Societies und über 50 Sport Clubs. Von der Marxist Society über die Quidditch Society bis hin zur Tea Appreciation Society ist alles dabei. Die gemütlichen Cafés, uralten Museen und noch älteren Pubs wollen erkundet werden und im College ist sowieso an fast jedem Abend etwas los.
Der bekannte Reiseführer "Baedaker" hat schon 1887 das Offensichtliche erkannt: "Oxford is on the whole more attractive than Cambridge to the ordinary visitor; and the traveller is therefore recommended to visit Cambridge first, or to omit it altogether if he cannot visit both."