La straniera a Roma

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von Lena, die ihr Auslandstrimester an der LUISS Guido Carli in Rom verbringt

Rom ist riesig. Ich bin viele Tage durch die Stadt gewandert und habe trotzdem das Gefühl, noch lange nicht alles gesehen zu haben. Viele Italiener sagen, so geht es ihnen auch noch, nachdem sie schon Jahre hier wohnen. Verwinkelte Gassen, der Geruch von frisch gebackenen Dolci, an jeder Ecke eine Gelateria. Sehr viele wunderschöne Kirchen, und immer wieder stolpert man über jahrtausendealte Ruinen, umgeben von dem modernen Rom.

In Rom funktioniert nichts. Man verabredet sich, aber plötzlich sind alle Pläne anders. Der Bus kommt nicht, man steht 10, 40, 60 Minuten. Wenn man Glück hat, kommt er noch irgendwann. Man muss nur damit rechnen, dass er kaputt geht, oder dass der Fahrer sich spontan entscheidet, auszusteigen und eine Pause zu machen. In der Wohnung sollte man auch vorsichtig sein. Wenn die Waschmaschine läuft, muss der Wasserhahn aus bleiben. Auf keinen Fall die falsche Steckdose nehmen.

In den ersten Wochen bedeutete dieses Chaos für mich viel Stress. Inzwischen habe ich eine Sache verstanden: das Chaos in Rom macht nichts, weil am Ende doch immer alles irgendwie funktioniert. Und auch, wenn man sich sonst auf absolut nichts verlassen kann, man kann sich darauf verlassen, dass das Chaos funktioniert. Und wenn etwas kaputt ist, macht das auch nichts. Wenn man es reparieren würde, würde es ja schließlich auch irgendwann wieder kaputt gehen.

Chaos erlaubt es mir, selbst chaotisch zu sein. Ich muss nicht mehr pünktlich sein, ich kann mich jede Sekunde umentscheiden. Der Stress ist zu Freiheit geworden. Ich habe gelernt, dass Regeln hier als Diskussionsgrundlage verstanden werden. Man kann sie einhalten, wenn man sie sinnvoll findet. Man kann es aber auch einfach lassen. Das zieht sich auch durch das Uni-Leben: Man kann sich in der Bibliothek an die Regeln halten und ruhig sein. Man kann aber auch einfach laut sein und viel reden, hier redet jeder gerne viel und laut. Wenn andere Italiener dann “shhh” raunen, kann man hier auch einfach erklären, dass man gerade laut reden muss.

Dieses Chaos lässt sich sehr gut verbinden mit der Essenskultur. Dafür ist immer Ruhe und Zeit da. To-Go gibt es nicht. Man hat immer Zeit, sich hinzusetzen und sich zu unterhalten. Alles andere kann warten, ist ja sowieso Chaos. Die italienische Küche ist eines meiner Lieblingsthemen. Sie ist generell das Lieblingsthema von fast jedem Italiener, den ich kennengelernt habe. In der Uni wird über römische Pizza diskutiert, in der Mensa über Fisch und in der Bar kann schon mal eine hitzige Diskussion entstehen, wenn Uneinigkeit über die beste Salami-Region besteht. In der Uni wird entsprechend ein Master in Food-Law angeboten, so manche Bachelor-These handelt davon, ob es ein Grundrecht auf Essen gibt.

Ich liebe diese Leidenschaft. Die Zeit, die sich jeder für einen Kaffee, einen Wein, oder einen Aperitivo nimmt. Und ich liebe es, dass ich hier zu jeder Tages- und Nachtzeit jemanden finde, der mit mir Eis isst, Kaffee oder Wein trinkt, oder einen neuen Aperitivo probiert und das Leben genießt. Aperitivo ist ein Essen vor dem Abendessen. Geniale Erfindung. Ich fühle mich inzwischen, als würde ich hier nur noch essen. Trotz allem sollte man immer gut aufpassen, mit wem man gerade unterwegs ist, aus welcher Region er kommt. Findet man die falsche Pizza oder den Wein aus der falschen Region gut, kann das Gespräch sehr schnell beendet sein. Pizza ist NUR in Napoli gut, in Rom isst man Tonnarelli Cacio e Pepe. Der beste Rotwein ist NATÜRLICH aus Puglia. Weißwein aus Ancona. Aber nur zu Fisch, welche Sorte zu welchem Fisch, ist eine Wissenschaft für sich. Bloß nicht Weißwein zum Aperitivo bestellen, das passt nämlich nicht, da nimmt man Rosé. Und natürlich Rotwein nur zu passenden Gerichten, aber auf keinen Fall zu Fisch. Ich arbeite noch daran, mir diese Wissenschaft anzueignen. Salute!