Eine Stadt im Startup-Rausch

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von Jan, der sein Auslandstrimester an der University of California, Hastings College of Law in San Francisco verbracht hat

Als ich in San Francisco aus dem Flugzeug steige, werde ich von Kaliforniens angenehmen 27° und strahlend blauem Himmel begrüßt. Im Winter wird es auf 12° abkühlen, wirklichen Regen erlebe ich aber nicht – jeden Tag ist Sonnenschein. Das Klima und die Lage machen die Stadt zum perfekten Ziel für Entdecker, Goldgräber, Hippies und Verrückte. Surfen auf dem Pazifik ist das ganze Jahr über möglich und in unmittelbarer Nähe liegen die Berge Kaliforniens, die sich zum Wandern und Radfahren eignen. Wer es gemütlich mag oder Angst vor den Pumas hat, macht am Strand ein Lagerfeuer und schaut in die Sterne.

Mangels besserer Alternativen und vor allem aus Neugier ziehe ich in ein „Startup Home“. Einziehen darf, wer sich jung und unternehmerisch fühlt. Bei der Bewerbung werde ich gefragt, welche Programmiersprachen ich beherrsche. Knapp $ 1100 lasse ich mir einen Schlafplatz auf einem quietschenden Hochbett in einem Viererzimmer kosten – für San Francisco ein normaler Preis. Angeblich bezahlt man damit aber auch für die Bekanntschaften, die man macht.

Ich treffe Raymond, einen Franzosen, der gerade die Greencard-Lotterie gewonnen hat und zwei Wochen später als Datamanager bei einem Health-Startup arbeiten wird. Ich treffe John, Elliott, Sonny und Kareem, die sich in einem Bootcamp innerhalb von 13 Wochen von Fachfremden zu Software Developern ausbilden lassen, und Dustin, einen Industriedesigner. Dann ist da Emma, eine liebenswert-verrückte Dänin, die Wirtschaftswissenschaften studiert und im Wohnzimmer stets für gute Stimmung, Lärm und Chaos sorgt. Kurz nach mir kommen drei Deutsche an, die überlegen, ihr Unternehmen von Frankfurt nach Amerika zu expandieren. Insgesamt leben 14 Menschen in der Wohnung, die wohl mal für eine einzelne Familie gedacht war.

Die Stadt ist im Goldrausch – ständig sind Investoren auf der Jagd nach dem „Next Big Thing“, dem nächsten Uber, Facebook oder Twitter. Täglich gibt es Entrepreneur-Meetups, Startup-Challenges oder Hackathons. Dort trifft man einige erfolgreiche Jung-Unternehmer und viele Scharlatane. Die Kunst ist, zu erkennen, wer wer ist. Vor dem Eingang zeigt ein Team Mitte-Zwanzigjähriger ein paar alten Männern im Anzug, wie ihre Roboter bald Sicherheitspersonal ersetzen werden. Drinnen möchte mich ein junger Mann davon überzeugen, dass ich mein Smartphone demnächst mit seinem digitalen Ring steuern werde. Der sieht aber zurzeit eher noch aus wie aus dem Kaugummi-Automaten und bietet keine Funktionen. Eine Dame möchte für $1 pro Monat mein Snowboard und meine Wintersachen über den Sommer lagern. Ich sehe ein elektrisches Motorrad mit Pedalen und ein „Tinder für Mode“ – falls man sich in der Umkleidekabine bei H&M nicht sicher ist, kann man sich hier Bestätigung holen: „Hot or Not?“

Das entscheidende Stichwort ist nicht mehr „geniale Idee“ sondern „disruptive Idee“. Disruptiv bedeutet „zerstörerisch“ oder „erschütternd“. Eine Idee soll sich nicht langsam am Markt etablieren, sondern ihn erschüttern, auf den Kopf stellen und an sich reißen. Großes Vorbild ist zurzeit Uber, das in San Francisco mittlerweile fast alle Taxen auf die Parkplätze verbannt hat. Gesetze und Moral sind in dieser Welt oft Hindernisse auf dem Weg zum Erfolg, die es zu überwinden gilt. Wenn man erwähnt, dass eine Idee rechtliche Probleme mit sich bringt, bekommt man meist die gleiche Antwort: „Egal! Mach einfach!“